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Montag, Juli 18, 2011

Offener Brief der Mitarbeiter des Volkstheaters

Offener Brief an: Den Oberbürgermeister / Die Damen und Herren der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock / Den Aufsichtsrat der Volkstheater Rostock GmbH

Wir widersprechen entschieden den aktuellen Darstellungen in der Presse, die Nachforderungen des Volkstheaters seien durch explodierende Personalkosten entstanden.

Mit der Schließung des Großen Hauses und des Ateliertheaters durch den Oberbürgermeister, den Bausenator, die Aufsichtsratsvorsitzende und den Intendanten war klar, dass für Sanierung und Ersatzspielstätten Zusatzkosten entstehen würden.

Die fast zwanzigjährige Verschleppung des Theaterneubaus ist eine große Schuldenlast aus der Vergangenheit.

Das Volkstheater, insbesondere seine Mitarbeiter, sind nicht verantwortlich für diese Situation.

Die Gebäude gehören der Hansestadt Rostock.

Mit ausverkauften Vorstellungen in einer attraktiven Spielstätte zeigen gegenwärtig die Mitarbeiter des Theaters, dass sie in der Lage sind, ihren Auftrag zu erfüllen - was vom Publikum honoriert wird.

Im Namen der Mitarbeiter des Theaters

Der Betriebsrat

Vorsitzender Nils Pille

Quelle: MVPO 18.07.2011 16:36

Sonntag, Juli 17, 2011

Attacken auf das Volkstheater Rostock und das Märchen vom Macher in Wahlkampfzeiten - ein zusammenfassender Rückblick

17.07.2011 07:41 Uhr Kategorie: Aktuell, Hansestadt Rostock, Newsletter

Rostock/MVPO Wieder einmal geht ein Gespenst durch Öffentlichkeit und Bürgerschaft: Exorbitante Kosten des Volkstheaters Rostock und die Forderung nach deren radikaler Reduzierung.

Stadtoberhaupt Roland Methling (Foto/UFR) gibt den Macher und schlägt Personalreduzierungen sowie einen Haustarif vor. Zugleich beschimpft er Aufsichtsrat und Kultursenatorin ob der Finanzmisere, die ihm immer nicht bekannt gewesen sein will. Dabei untersteht ihm persönlich das Controlling der städtischen GmbH.

Der Vorschlag Haustarif ist ein alter Hut. Er wurde bereits im August 2005 vom Rostocker Bund vorgeschlagen und bei den Vorbereitungen zur Umwandlung des Theateramtes in eine GmbH 2006-2009 eingefordert, aber nie seitens des OB umgesetzt. Jetzt soll der „neue“ Vorschlag ab Mitte 2012 Wirkung entfalten. Das ist nach der OB-Wahl vom Februar und hinsichtlich der Umsetzung vorab nicht prüfbar. Zudem wird ein Regionaltarif längst auch von anderen Theatern M-Vs befürwortet, es gab bereits erste Gespräche in diese Richtung. Roland Methling weiß das und bläst dennoch in ein Horn, das längst erklungen ist.

Der derzeitige Stadtchef hatte über sechs Jahre Zeit in Sachen Volkstheater etwas zu bewegen. Ein Blick auf die Ereignisse seit seinem Amtsantritt im April 2005 offenbart jedoch kaum Positives:

Im Sommer 2005 wollte Roland Methling den Vertrag von Intendant Steffen Piontek nicht verlängern. Dieser hatte sich im Wahlkampf für Kultursenatorin Ida Schillen als neue OB ausgesprochen und mehrfach darauf verwiesen, dass eine Kürzung des Theateretats um Millionen, wie Methling sie vorschwebte, nicht möglich sei, wenn die Stadt ein Vier-Sparten-Haus erhalten wolle. Gestritten wurde daher über das Thema Theaterkonzept, das der OB vom Intendanten erwartete, obwohl eine Millionenreduzierung mit entsprechender Spartenänderung eine politische Entscheidung der Bürgerschaft sein müsste. Erst wenn die Rahmenbedingungen klar sind, kann ein Intendant Konzepte für ein Haus schreiben.

2006 versuchte Roland Methling erneut Einsparungen durchzusetzen. Grundlage war diesmal eine überörtliche Prüfung des Landesrechnungshofes zu den Theatern in M-V, unter Einbindung der Firma VEBERAS. Eine Fusion der Theater von Rostock und Schwerin hieß das neue Zauberwort, das die Gemüter erhitzte, sowohl im künstlerischen als auch politischen Raum.

Im März 2007 legte Roland Methling der Bürgerschaft die Kündigung von Intendant Piontek zur Entscheidung auf den Tisch. Die gegen en Theaterchef erhobenen Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, so dass die Kündigung scheiterte. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Generalmusikdirektor Peter Leonard als Nachfolger vorgesehen, gegen dessen Vertragsverlängerung sich wenig später das Orchester aussprach. Leonard hatte vor allem im Kinder- und Jugendbereich Erfolge erzielt und war offensiver auf das Publikum zugegangen. Umstritten war seine künstlerische Leistung.

Ein Jahr später, im Mai 2008, legte die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bühnenverein eine Studie über acht Sparten- und Sparvarianten vor. Das fundierte Papier kam aber nicht zu dem erhofften Ergebnis, denn es zeigte auf, dass eine Einsparung von Ballett und Schauspiel finanziell wenig Effekt bringen würde, da die Kostentreiber Chor und Orchester seien. Gerade Letzteres sollte aber nicht aufgegeben werden. Der OB plädierte nun für die Rückstufung des A-Orchesters auf B-Niveau und damit langfristig für eine Absenkung der künstlerischen Qualität der Norddeutschen Philharmonie.

Entgegen der Studie veranlasste Roland Methling im Juli 2008 dennoch die Planung der Schließung zweier Sparten. Musiktheater mit Chor sowie das Ballett sollten dran glauben. Dass bei Wegfall des Musiktheaters (Oper, Operette) das Orchester zu ca. 50-60 % unterbeschäftigt wäre, bei voller Bezahlung, spielte keine Rolle. Methlings Konzeptanweisung hieß unbeirrt: Theater mit Schauspiel und Orchester bei Abstufung auf ein B-Orchester.

Bei derartigen Plänen störte natürlich Intendant und Operndirektor Piontek, der auf entsprechende Folgen hinwies. Ihm wurde ein Auflösungsvertrag mit einer Abfindung in Höhe von 300 TEUR angeboten. Die Trennung sollte, so eine vorbereitete Pressemitteilung, aufgrund „unüberbrückbarer Differenzen im Hinblick auf die Zukunft des Volkstheaters“ erfolgen. Streitpunkt war die Umwandlung des VTR in eine GmbH mit gleichzeitiger Reduzierung von städtischen Zuschüssen, die zu einem Ergebnis wie den Methling-Plänen geführt hätten.

Nachdem sich Intendant Piontek „in einem Moment der Schwäche“, wie er später meinte, für das Angebot entschieden hatte, sandte Roland Methling Anfang August 2008 dennoch ein abendliches Fax mit einer sofortigen außerordentlichen Kündigung ab, selbstverständlich ohne vorherige Anhörung des Betroffenen oder Vorabinformation der Bürgerschaft. Der Hauptausschuss sollte die bereits ausgesprochene Kündigung nachträglich genehmigen und zugleich den Verwaltungsbereich mit Kay-Uwe Nissen (CDU) politisch besetzen und die künstlerische Leitung des Theaters an Peter Leonard übertragen - alles auf Dringlichkeitsantrag von Roland Methling und ohne Ausschreibung.

Angesichts zerrütteter Beziehungen zwischen OB und Intendant folgten vier von sechs Fraktionen der Kündigung im Hauptausschuss. Die Stellenbesetzungen erfolgten trotz Umstrittenheit mit den Stimmen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenn auch im Falle des kaufmännischen Geschäftsführers doch noch nach einer sehr kurzfristigen (Schein-) Ausschreibung in begrenzten Medien. Das Rostocker Sommertheater führte zu Negativschlagzeilen in der gesamten Bundesrepublik und zu erheblichen Abfindungszahlungen für den Intendanten und weitere Gekündigte.

Von derselben politischen Mehrheit getragen ging Ende August 2008 die Verabschiedung eines Gesellschaftsvertrages für eine Theater GmbH über die Bühne. Allerdings fehlte eine mittelfristige Finanzabsicherung.

Der neue künstlerische Leiter Peter Leonard machte daher genau da weiter, wo sein Vorgänger aufhörte: Beim Kampf um den Erhalt eines Vier-Sparten-Theaters. Dies war seine Voraussetzung für die Postenübernahme. Und er erhielt zunächst all‘ das, was Piontek verwehrt wurde: Den Erhalt des Vier-Sparten-Theaters und eine mittelfristige finanzielle Absicherung durch Verträge im Rahmen der endgültigen GmbH-Bildung im Oktober 2009.

Doch seit der Aufführung von „Orpheus in der Unterwelt“ im Januar 2009 und der ganz und gar nicht positiven Rolle des Jupiter in Verkleidung als Oberbürgermeister sowie der zahlreichen kritischen Sätze über Rostocker Stadtverhältnisse konnte sich jeder, der Roland Methling näher kannte, ausrechnen, dass das vermeintlich gute Verhältnis zum neuen Intendanten nicht lange anhalten würde. Roland Methling vergisst keine Kritik an seiner Person, auch nicht, wenn sie künstlerisch daher kommt.

Die neue Theater GmbH, deren Umsetzung sich bis Jahresanfang 2010 hinzog, wurde vom Oberbürgermeister mit Altlasten ins Leben gerufen und unterfinanziert ausgestattet: Die Stadt übertrug ihr die Zahlung von seit 208 ausstehenden Tariferhöhungen, ohne die entsprechenden Finanzmittel bereit zu stellen. Die Tariferhöhungen gelten auch für die Zukunft. Ende 2010 kam es um den erforderlichen Finanzbedarf zu öffentlichen Debatten, die deshalb scheinheilig waren, weil der Tarifabschluss vor der GmbH-Bildung bekannt gewesen ist und die Zahlungen rechtlich nicht abweisbar waren. Die Stadt selbst hatte es versäumt, mit der GmbH-Bildung einen Haustarif anzustreben. Hinzu kam eine mangelhafte Ausstattung der GmbH mit betriebswirtschaftlichem und Marketing Know-how.

Das vorprogrammierte Finanzdesaster benötigte einen Schwarzen Peter. Den gab der kaufmännische Geschäftsführer Kay-Uwe Nissen gut ab, hatte er sich doch teilweise selbst überschätzt und gemeint, er können die Probleme ohne Hilfe von außen lösen. Als es zu spät war, durfte er im November 2010 gehen. Erneut zahlte die Stadt eine Abfindung. Und beauftragte die RVV die Finanzen aufzuarbeiten und einen neuen Wirtschaftsplan zu erstellen, selbstverständlich gegen Honorar.

In das bereits bestehende Chaos hinein wurde im Februar 2011 das Große Haus geschlossen, eine angeblich alternativlose Entscheidung, die man jedoch in Zweifel ziehen kann.

Mit dieser Spontanaktion (???) wurde weiterer Druck auf Bürgerschaft und Land ausgeübt, neue Finanzmittel zur Verfügung zu stellen und zugleich Kostensenkungen anzumahnen. Dabei hatte die Stadt selbst versäumt, fristgerecht Widerspruch gegen die Kürzung von FAG- Landesmitteln einzulegen. Während andere Theater dabei sind sich gerichtlich Zahlungen zu erkämpfen, passt das Land in puncto Rostock, weil das Dilemma als selbst verschuldet gilt. Die Bürgerschaft muss immer wieder nachschießen, denn eine Insolvenz würde nichts bringen, da die Mitarbeiter der GmbH ein Rückkehrrecht an die Stadt haben, aufgrund des Überleitungsvertrages.

Als Schwarze Peter suchte sich der OB Kultursenatorin und Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Liane Melzer, den Aufsichtsrat und den Intendanten aus. Das ihm unterstehende und für die GmbH zuständige Beteiligungscontrolling und seine eigene Verantwortung erwähnte der OB bisher mit keiner Silbe. Und von einer moderierenden, auf Teamarbeit orientierten Lösungssuche ist seitens Roland Methling bisher nichts zu erkennen. Vielmehr geht es in diesen Tagen wieder um Schuldzuweisungen und Kulturabbau.

Im Hintergrund geistert immer noch eine alte OB-Vorstellung von einem Theater, das durch vier Sparten bespielt (!) wird, also der Abschied vom Stadttheater. Bereits im März 2011 stellte Roland Methling öffentlich die Frage, ob sich Rostock noch ein Vier-Sparten-Theater leisten könne. An dieser Frage mache er den Theaterneubau fest.

Ob die verfehlte Theaterpolitik von Roland Methling damit ihren Höhepunkt erreicht hat oder Weiteres folgt, bleibt abzuwarten. Auf der aktuellen Abschussliste scheint jedenfalls Intendant Peter Leonard zu stehen, denn bei normalen Verhältnissen stellt kein Oberbürgermeister sein Führungspersonal öffentlich derart in Frage.

Die Bürgerschaft wiederum wird unter Druck gesetzt, die Halle 207 langfristig anzumieten oder zu kaufen. Sie steht inzwischen in Trägerschaft des Vereins Tradition Ostseeschifffahrt, dessen Vorstand Roland Methling angehört. Die Nichtzustimmung zu einem Langfristvertrag seitens Kay-Uwe Nissen war vermutlich ebenfalls ein Baustein im Szenario seines Rausschmisses. Die Sommerbespielung an diesem Ort soll sich weder beim Zuschauerzuwachs noch betriebswirtschaftlich gerechnet haben, im Vergleich zu einem Verbleib im Großen Haus. Aber das Haus wurde ja nun geschlossen. Im Falle des allseits angestrebten Theaterneubaus stellt sich tatsächlich die Frage, weshalb es des Ankaufs der Halle bedarf.

Dietrich Pätzold, Kulturredakteur der Ostseezeitung, stellte am 29. Juli 2008 zwei Fragen, die bis heute zu beantworten sind: Wie stoppt man einen Regierenden ohne Übersicht? Und wie verbessert man das Klima in einer Stadt, in der Kultur permanent nur als Kosten-Problem diskutiert wird?

Wer jahrelang Chaos in der Theaterpolitik produziert, sollte sich nicht als Macher in der selbst verursachten Krise hinstellen. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern scheinheilig und zielt auf das Kurzzeitgedächtnis eines unmündigen Wählers. Wir Rostocker waren keine Zeugen vernünftiger Theaterpolitik, sondern eines Desasters, das eines Oberzentrums unwürdig ist und bundesweit zu Unverständnis führte. Dem muss endlich Einhalt geboten werden.

MVPO Rostock red/hro