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Montag, Dezember 31, 2012

Ein klares Wort

*
"Ausdruck für unser Versagen
- auch des Berliner Ensembles oder vielleicht des Theaters generell -
ist die traurige Tatsache,
dass wir in Afghanistan und auf dem Balkan Kriege führen
und die Künstler dazu schweigen."
*

Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, in der Berliner Zeitung, zitiert im Neuen Deutschland vom 31.12.2012

Viel zu spät spricht es einer (ein Einziger!) aus, was dem Theater nicht nur in Rostock fehlt, was es so zusammenstreichbar und entbehrlich macht: Der fehlende gesellschaftliche Bezug.

Wenn zu DDR-Zeiten die Theater voll waren, dann lag das nicht nur daran, dass sich jedermann Theaterkarten leisten konnte, dass oft auch gemeinsame Besuche organisiert wurden, dass Theatermacher keinerlei finanziellen Nöte hatten - es lag vor allem daran, dass sich DDR-Theater nie im luftleeren Raum abspielte, sondern immer engagierte, kritische Gesellschaftsbezüge hatte.

Wann endlich nutzen JETZT die Künstler jene Bühnen, die sie NOCH haben?

Ein Nachtrag: Heute erschien in das-ist-rostock ein Artikel, der das gleiche Problem anspricht (http://www.das-ist-rostock.de/artikel/48655_2013-01-02_volkstheater-ins-affenhaus/) und den wir auszugsweise hier zitieren:

Profilierung muss sein. Das Berliner Gorki-Theater z. B. beteiligt sich mit zeitgenössischen Stücken erfolgreich am gesellschaftlichen Diskurs, das Berliner Ensemble füllt das Haus mit Brecht, die Distel pflegt akzentuiertes politisches Kabarett und die Stachelschweine Comedy, na ja. Why not? [...]

Die Chance des Theaters ist, anders zu sein als die.. modernen Medien. Ort der Begegnung, der Interaktion, des Dialogs, offen für Fragen der Bürger, lebendig und nah zum Anfassen. Eine Alternative zu den öffentlichen und verkabelten Räumen. Die moderne Kommunikation, so behaupten ihre Frontleute, führe die Menschen zusammen. In Wahrheit trennt sie sie, schafft Distanz bis zur Vereinsamung. Wer heute Theater mit tradierten Programmen macht und nicht auf seine Besucher zugeht, verliert diese. [...]

Dass sich Bewohner der Plattenbausiedlungen des Nordwestens und Nordostens kaum im Theater sehen lassen, versteht sich, leider. MV hat einen Anteil von 12 Prozent Hartzer an der Bevölkerung. [...]

Das Theater mit seinen Besuchern ist ein Indikator für die Unversehrtheit unserer Gesellschaft. [...]

Den Menschen, die an den Stadtrand verbannt werden, ist nicht nur der Weg ins Theater zu weit und zu teuer; vielen fehlt auch das Bedürfnis nach Bildung. Sie gehören zu den Abgehängten, den Ausgeschlossenen, den Exkludierten, so der Terminus der Soziologen und Städteplaner. Es geht ja nicht darum, dass sie die Besucherbilanz des Volkstheaters aufbessern, nicht um Kunst um der Kunst willen. Es geht vor allem darum, dass Kunst und Bildung sie zu Bürgern macht, die fähig zur Demokratie sind. Die in der Lage sind, mitzubestimmen, was dem Gemeinwohl der Stadt dient. [...]

KRIEG spricht abschliessend die Rostocker Kommunalpolitiker an ("Ein weites Feld tut sich vor unseren Kommunalpolitikern auf"). Ich hingegen erwarte (ohne die Politiker aus ihrer Verantwortung entlassen zu wollen) vor allem von den THEATERMACHERN, dass sie endlich ihre gesellschaftliche Unentbehrlichkeit praktizieren. In jeder Sparte, mit jedem Stück, auch außerhalb der Bühne... Erst wenn das Theater unverzichtbar geworden ist, können wir die (Kommunal-) Politiker fragen, warum sie nicht mehr fürs Theater im Besonderen und für die Kultur generell tun, erst dann ist Kultur wirklich Mehrwert und zugleich Indikator für den Zustand unserer Gesellschaft!

Posted by Dr. Günter Hering at 18:18
Edited on: Mittwoch, Januar 02, 2013 17:58
Categories: Bürgermeinungen, Inszenierungen, Konzeption(en), Kultur ist Mehrwert, Spielplan, Stadt Rostock, Zuschauer