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Donnerstag, Dezember 06, 2012

Immer nur "Entweder Neubau oder Niedergang"?

Die Ostseezeitung meldet am 03.12.2012:

Theater: Verzweifelter Appell

Kröpeliner-Tor-Vorstadt (OZ) - Die beiden Vereine Freunde und Förderer des Volkstheaters und die Philharmonische Gesellschaft wenden sich heute mit einer gemeinsamen Erklärung an die Mitglieder der Bürgerschaft. Sie wollen sie ermutigen, „in den anstehenden Auseinandersetzungen mit den Vertretern des Kultusministeriums für ein eigenständiges Stadttheater mit vier Sparten und die Norddeutsche Philharmonie in mindestens ihrer jetzigen Größe zu kämpfen“.

Die beiden Vorsitzenden Antje Jonas und Thomas Diestel haben den Brief unterschrieben. Sie betonen: „Die Fusion mit dem Staatstheater Schwerin halten wir für unannehmbar, da unserem Volkstheater die Chance auf eine weitere selbstbestimmte und zeitgemäße Fortführung seiner Stadttheatertradition genommen würde.“

Seit Jahren produziere das Volkstheater unter schwierigsten Bedingungen, so die beiden Vorsitzenden. Jetzt habe die seit längerem andauernde Rostocker Theaterkrise durch die kürzlich veröffentlichten Modelle zur Weiterentwicklung der Theater- und Orchesterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern eine weitere Verschärfung erfahren. Die Zeit arbeite angesichts der Gesamtsituation inzwischen gegen die Rostocker Bürger, die im Interesse einer kultivierten Stadtgesellschaft heute und künftig nicht bereit sind, auf ihr Stadttheater zu verzichten. „Gelingt es nicht, kurzfristig den Neubauprozess in Gang zu setzen, besteht die sehr reale Gefahr einer Insolvenz und des endgültigen Niedergangs des Volkstheaters Rostock.“

Da gibt es in Rostock zwei Vereine mit anspruchsvollen Zielstellungen, aber in ihren öffentlichen Verlautbarungen tauchen immer nur zwei Aussagen bzw. Forderungen auf: (a) Mehr Geld für das 4-Sparten-Theater, (b) Neubau so schnell wie möglich! Reicht es wirklich aus, sich auf diese beiden Forderungen zu beschränken?

Die aktuelle Misere hat doch viele Ursachen:

  • Wohl an erster Stelle ist die unzureichende Akzeptanz des Theaters / seiner Angebote bei der Rostocker Bevölkerung zu nennen. Wäre es anders, hätte man z.B. dem OB nicht das dreiste Stück einer so abrupten und so langen Schließung des Großen Hauses mit seiner Wiederwahl honoriert.
  • Der aktuelle Spielplan lockt wirklich kaum einen Hund hinterm warmen Ofen hervor. Das Große Haus bleibt viele Dezemberabende lang unbespielt, es gibt lediglich am Vormittag Kindervorstellungen. Die sind gut und wichtig, aber warum ist abends nichts los? Vor einem Jahr erklärte man uns das einleuchtend damit, dass im Zelt der Kulissenumbau zu arbeitsaufwendig sei. Aber jetzt? Gerade in der Vorweihnachtszeit gehen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene besonders gerne ins Theater, finden aber viel zu wenig Angebote.
  • Die Aufführungen werden viel zu wenig beworben. Die Briefkästen der Rostocker Bürger quellen jeden Tag von Werbung über, aber Theaterwerbung war und ist bislang nicht dabei. Selbst wer im Internet jeden Tag über die Online-Informationen von NNN, OZ und das-ist-rostock wandert, findet viel zu wenig zum laufenden Theaterbetrieb (dafür aber jede (Horror-) Meldung über das Theaterdesaster (siehe oben zitierten Brief der beiden Vereine: motiviert der etwa zu einem Theaterbesuch?) und die stereotype Wiederholung, dass erst ein Neubau alles besser werden läßt
  • Herausragende Leistungen werden in der Öffentlichkeit viel zu wenig (kaum!) gewürdigt. Ich denke da an die Tanztheater-Inszenierungen oder an The Who´s Tommy. So lange die Roznos-Aufführungen weitgehend besucherfrei bleiben, ist es in meinen Augen geradezu eine Unverschämtheit, einen Theaterneubau zu fordern!

Dies alles und mehr ist aber als Kritik nicht vorzugsweise an den OB und die Bürgerschaft (wie es die beiden Theatervereine tun) oder an die Medien zu richten, sondern vor allem an die Betriebsleitung des Theaters. Aber davon spricht kaum einer. Auch nicht die beiden Vereine. Dabei könnten sie sich sehr handfest einbringen, beispielsweise vielschichtige Gesprächsrunden mit den Theaterakteuren und den Theaterbesuchern organisieren. Oder sich mit dafür einsetzen, dass die Hoteliers der Stadt und des Umlandes endlich erkennen, welche Werbewirkung die guten (aber auch nur die!) -Theateraufführungen entfalten können und gegebenenfalls den Gast motivieren, eine Nacht länger zu bleiben. Oder andere Aspekte des Mehrwertansatzes von Torsten Koplin aufgreifen und zu beleben suchen. Oder, oder, oder...

Posted by Dr. Günter Hering at 18:50
Edited on: Freitag, Dezember 07, 2012 19:01
Categories: Inszenierungen, Konzeption(en), Kultur ist Mehrwert, Marketing, Personal, Theaterneubau